Impulse
Change Management – als Führungskraft oder als Manager?
Von Fruzsina Dénes

Veränderung ist heute ein natürlicher Bestandteil des Unternehmensalltags. Reorganisationen, Digitalisierung, Kulturwandel und neue Betriebsmodelle folgen einander – und obwohl scheinbar jeder über Veränderung spricht, stoßen die meisten Organisationen immer wieder an die gleichen Grenzen. Strukturen werden verändert, Prozesse optimiert, neue Kennzahlen eingeführt – und trotzdem kehrt nach einigen Monaten oder Jahren vieles wieder in den alten Zustand zurück.
Wie sollte eine Führungskraft handeln, wenn sie nachhaltige Veränderung erreichen möchte?
Internationale Studien zeigen, dass nur etwa 30 % der organisationalen Veränderungsprozesse ihre Ziele vollständig erreichen, während 60–70 % scheitern oder in alte Muster zurückfallen. Das liegt nicht daran, dass Führungskräfte schlechte Entscheidungen treffen, sondern daran, dass die meisten Veränderungen nur die Oberfläche betreffen – die Struktur, nicht aber den Menschen und die dahinterliegenden Denk- und Verhaltensmuster.
Veränderung ist nämlich nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein innerer Prozess. Auf Organisationsebene bedeutet sie eine Neuausrichtung von Struktur, Prozessen und Strategie; auf individueller Ebene jedoch einen psychologischen Übergang – loszulassen, was war, und sich schrittweise mit dem Neuen zu identifizieren. Diese beiden Prozesse laufen selten synchron. Daher sehen wir so oft „scheinbare Anpassung“: Nach außen wirkt alles in Ordnung, doch im Inneren laufen die alten Muster weiter.
Auch biologisch ist Veränderung belastend. Unser Gehirn ist ein Vorhersagesystem: Es erstellt ständig Prognosen, um die Welt vorhersehbar zu machen. Fehlt diese Vorhersehbarkeit, entsteht Stress – der Energieverbrauch steigt, das Sicherheitsgefühl sinkt und der Fokus verengt sich.
Veränderung ist somit nicht nur emotional, sondern auch neurologisch eine Frage des Energiehaushalts: Neue Muster müssen aufgebaut werden, während die alten im Hintergrund noch aktiv sind.
Hinzu kommt: Der Veränderungsprozess verläuft nicht linear. Es ist nicht so, dass wir nach anfänglicher Unsicherheit plötzlich bei Verstehen und Akzeptanz ankommen. Vielmehr erleben wir eine Wellenbewegung – eine Oszillation. Begeisterung, Zweifel, Hoffnung, Wut und Erschöpfung wechseln sich ab – manchmal über Tage, manchmal innerhalb von Minuten. Das ist ein natürlicher Regulationsmechanismus des Nervensystems: Es sucht ein neues Gleichgewicht, während das Bedürfnis nach Sicherheit ständig mit dem Wunsch nach Neuem ringt.
Für Führungskräfte ist es entscheidend zu verstehen, dass nicht der „Downer-Moment“ das Problem ist, sondern die Welle selbst. Wenn wir dieser Bewegung Raum geben, fühlen sich Menschen nicht falsch, weil sie zwischendurch verunsichert sind – und finden schneller zurück in ihre Balance.
Die Rolle der inneren Architektur
Organisatorische Transformationen gelingen deshalb nur, wenn neben den „harten“ auch die „weichen“ Faktoren – also die menschliche Dimension – berücksichtigt werden. Und genau das ist in Wahrheit der schwierigere Teil. Ich nenne diese innere, „platinfarbene“ Schicht innere Architektur: das miteinander verbundene System aus Nervensystem, Emotionen, Gedanken, Überzeugungen, Werten, Mustern und Verhalten.
Wenn in diesem System keine Neuausrichtung stattfindet, bleibt äußere Veränderung nicht nachhaltig.
Auch die Art der Veränderung spielt eine Rolle. In Organisationen geht es häufig um eine einfache Anpassung des Verhaltens – „Wie machen wir es besser?“ – ein Single-Loop-Learning. Tiefer geht es, wenn wir den mentalen Rahmen selbst hinterfragen – „Warum machen wir es so?“ – das ist Double-Loop-Learning, das zu echter Haltungsveränderung führt. Die meisten Transformationen scheitern hier: Die Verhaltensanforderung ist neu, doch Überzeugungen, Annahmen und Identität bleiben alt.
Die komplexe Welt macht es zusätzlich schwer. Während in komplizierten Situationen klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen bestehen, gibt es im komplexen Umfeld keine eindeutige richtige Lösung – nur Wahrnehmen, Experimentieren und Lernen. Der typische Führungsreflex „Wir müssen das lösen“ greift hier nicht mehr. Aufgabe der Führung ist es, einen sicheren Raum für die Suche zu schaffen.
Viele Veränderungen scheitern bereits am Start, weil Menschen zu wenig berücksichtigt werden. Entscheidungen werden getroffen, Pläne präsentiert, Kommunikationsmaterialien erstellt – und die Implementierung beginnt. Führungskräfte haben oft das Gefühl: „So viel haben wir noch nie kommuniziert.“ Während Teams erleben: „Man hört uns nicht.“ Reine Sachkommunikation erreicht die emotionale Realität nicht.
Mitarbeitende lehnen dabei meist nicht die Veränderung ab – sie erleben den Verlust dessen, was ihnen vertraut war: Rollen, Routinen, Beziehungen oder ihr Identitätsgefühl. Viele fragen sich: „War das, was wir bisher gemacht haben, auf einmal falsch?“ Die unausgesprochene Botschaft scheint: „Das Alte ist schlecht, das Neue ist gut.“
Dabei steckt im organisationalen Gestern enorm viel Wert, Wissen und Engagement.
Wird das nicht anerkannt, leiden Loyalität und Selbstwert. Veränderung ist nicht die Abwertung der Vergangenheit, sondern deren Weiterentwicklung – und es ist eine zentrale Führungsaufgabe, dies auszusprechen.
Was brauchen Mitarbeitende, um Veränderung nicht nur zu überleben, sondern zu leben?
Sie brauchen eine regelmäßige, verlässliche Kommunikation – keine kampagnenartige Informationsflut, sondern einen fortlaufenden Dialog über die Veränderung. Nicht in den letzten fünf Minuten eines Meetings, sondern in einem eigenen Raum, der genau dafür vorgesehen ist. Diese Kommunikation muss nicht lang sein, sondern bewusst: Die Führungskraft macht immer wieder deutlich, wo man steht, was noch unklar ist und was sich bereits abzeichnet.
Mitarbeitende brauchen außerdem die Anerkennung ihrer Emotionen, denn Angst, Wut oder Unsicherheit sind keine Hindernisse, sondern wichtige Informationen darüber, was in ihnen vorgeht. Emotionale Validierung bedeutet jedoch nicht, unkontrollierten Gefühlsausbrüchen freien Lauf zu lassen, sondern Emotionen Raum zu geben und gleichzeitig beim konstruktiven Umgang damit zu unterstützen.
Wichtig ist auch, die Kontinuität der Werte zu betonen: Das, was früher eine Stärke war, bleibt auch im neuen Betriebsmodell nützlich. Wenn wir aussprechen, dass die Werte der Vergangenheit nicht verschwinden, sondern eine neue Form annehmen, verringert das das Gefühl von Verlust und stärkt die Verbundenheit mit der Veränderung.
Und schließlich brauchen Mitarbeitende die Erlaubnis zu experimentieren und Fehler zu machen. In einer komplexen Welt verläuft Lernen nicht linear und der Weg zu neuen Mustern führt nur über das Ausprobieren. Fehler bedeuten nicht, dass Leistung aufgegeben wird, sondern dass der Lernprozess selbst einen Wert hat. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin klarzustellen: Entwicklung bedeutet nicht die Abwesenheit von Fehlern, sondern die Anwesenheit von Lernen.
All dies sind Elemente der inneren Architektur – jene psychologischen und emotionalen Strukturelemente, die bestimmen, wie wir uns zur Veränderung verhalten. Und genauso wenig wie ein Gebäude ohne stabile innere Tragstruktur bestehen kann, kann eine Organisation sich nachhaltig erneuern, wenn ihre menschlichen Grundpfeiler nicht gestärkt werden.
Führungskräfte haben es dabei nicht leicht. Sie stehen selbst mitten in der Veränderung: Druck, Erwartungen, Unsicherheit und Erschöpfung wirken auch auf sie. Von ihnen wird erwartet, den Raum zu halten, während in ihnen selbst Verlust und Lernen stattfinden. Der klassische Reflex: lösen, ordnen, abschließen. Doch heute besteht Führung weniger in Kontrolle, sondern darin, Lernräume zu ermöglichen.
Die größte Sicherheit entsteht nicht durch „Alleswissen“, sondern durch authentische Präsenz. Wenn eine Führungskraft sagen kann:
„Ich weiß es selbst noch nicht genau, aber ich bin hier, wach und wir finden gemeinsam den nächsten Schritt.“
– dann schafft das mehr Stabilität als jede vorgefertigte Antwort.
Veränderung ist somit nicht nur eine strukturelle Aufgabe, sondern eine neurologische, emotionale und kognitive Reorganisation. Eine Organisation kann sich nur erneuern, wenn auch die Menschen in ihr sich innerlich neu ausrichten können.
Die Führungskraft der Zukunft ist nicht nur ProjektmanagerIn, sondern auch innere Architekt:in:
jemand, der versteht, wie Menschen in Unsicherheit funktionieren und der Räume hält für Lernen, Ausprobieren, Fehler und Wachstum.
Denn die meisten Veränderungen scheitern nicht am Plan – sondern am fehlenden Raum:
dem Raum, in dem Menschen dem Geschehen Sinn geben können.
dem Raum, in dem sie sich selbst treu bleiben dürfen – und sich trotzdem verändern können.
Dieser Raum ist die innere Architektur: die menschliche Seite der Veränderung. Ohne sie bleibt alles andere bloße Kulisse.