Impulse

Erfolgreich ohne Kontrolle?

Von Heidemarie Pichler


Das Thema Führung ist im akademischen Diskurs ein vergleichsweise junges Betätigungsfeld und wird deshalb oft unterschiedlich interpretiert. So gibt es etwa bei der Bewertung bzw. Belohnung von Leistung durch Führungskräfte viele Unsicherheiten und Bedenken. Ungleichbehandlung seitens der Führungskräfte wird oftmals schon per se als Ungerechtigkeit interpretiert. Entwicklung wird häufig reduziert auf Karriere verstanden, verbunden mit höherem Gehalt.

Die große Herausforderung: Mehr Freiheit heißt weniger Orientierung

Genauso vielseitig wie der akademische Diskurs ist die Herangehensweise der Unternehmen an die Führungsthematik. Bei der TU Wien dient ein in den letzten Jahren erarbeitetes Governancekonzept, als Basis für die Wahrnehmung von Führungsaufgaben. Da es sich auf die Definition der Eckpunkte beschränkt, bietet den Führungskräften wenig Orientierung, dafür aber viel Freiheit. Das birgt große Chancen, aber auch Risiken. In unserem konkreten Fall gilt dies vor allem deshalb, weil wir aktuell versuchen, unseren Mitarbeiter:innen immer mehr Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten anzuvertrauen. Dadurch vertiefen sich Unterschiede in den Führungsansätzen stetig.

Am Beispiel der Frage von Entwicklung kann das bedeuten, dass Führungskräfte aus der Rolle der Entscheider:innen, in der sie von Mitarbeiter:innen entweder als Förder:innen oder als Verhinder:innen erlebt werden, heraustreten. Stattdessen übernehmen sie immer mehr die Rolle der Beobachter:innen und Begleiter:innen. Außerdem wird es auch in Zukunft Situationen geben, bei denen eine durchwegs hierarchielose Führung nicht ausreichend sein wird.

Die Leistungskultur als Ort der Entwicklung

In der Leistungsbeurteilung ist sicherlich der Konsens darüber, welche Handlungen tatsächlichen Mehrwert bringen, die Voraussetzung für die Etablierung des neuen Führungsverständnisses. Blicken wir über die Grenzen nach Nordeuropa: Insbesondere Schweden und die Niederlande haben hier bereits große Schritte in Richtung einer weniger individuellen, kompetitiven Leistungskultur getan. Evaluationen (für staatliche Förderungen oder auch Karriereschritte) bewerten neben Einzelleistungen vor allem auch Kooperationen sowie das aktive Teilen von Informationen und Erkenntnissen, damit andere darauf aufbauen können. Es wäre durchaus spannend, diesen Ansatz auf den Unternehmenskontext zu übertragen und auch hier Beförderungen an Kriterien wie Teamleistungen, Entwicklungsquoten usw. zu knüpfen.

Veränderte Ansprüche der Mitarbeiter:innen an ihre Führungskräfte

Führungsarbeit kann heute nicht mehr auf der Vorstellung beruhen, dass eine einzelne Person über alles am besten Bescheid wissen muss und jederzeit in allem eine dauerhaft richtige Entscheidung treffen kann. Diese Vorstellung überfordert nicht nur Führungskräfte, sondern frustriert auch Mitarbeiter:innen.

Es gibt keine pauschale Antwort auf die Frage nach den Ansprüchen der Mitarbeiter:innen an ihre Führungskräfte. Sehr wohl gibt es aber allgemeine Schnittmengen zwischen den individuellen Ansprüchen. Dafür sind drei Faktoren ausschlaggebend: erstens eine klare, ehrliche Informationspolitik, die auch nicht davor zurückschreckt zuzugeben, wenn keine Informationen vorhanden sind; zweitens eine bewusste Trennung von Information und Kommunikation sowie der unbedingte Willen zuzuhören; drittens die Bereitstellung eines sicheren Arbeitsumfelds, in dem sich Mitarbeiter:innen einbringen und verwirklichen können. Aus meiner Sicht sind es diese drei zentralen Schnittmengen, die alle Führungskräfte in ihrer Führungsarbeit unbedingt beachten müssen. Dafür brauchen sie Geduld, Flexibilität und das richtige Gespür, wann sie welche Handlung setzen oder welche Position beziehen sollen. Vor allem aber benötigen sie die Zusicherung, dass sie weiterhin eine zentrale Rolle im Unternehmen spielen, auch wenn sie nicht mehr die einzigen sind, die über Informationen verfügen und Themen allein steuern.

Unser Weg in die New World of Work

Wir haben Mitarbeiter:innen wie Führungskräften erfolgreich virtuelle Räume für mehr Kooperation zur Verfügung gestellt und ihnen darüber hinaus unterschiedliche Seminare und Coachings zum Thema New Work angeboten.

Für die kommenden Jahre wollen wir unsere Mitarbeiter:innen bestmöglich mit ihrem wachsendem neuen Spielraum vertraut machen, ohne zu viel Unsicherheit entstehen zu lassen. Führungskräfte wollen wir darin bestärken, diesen Spielraum mit Vertrauen zu füllen. Dadurch soll die entstandene Dynamik für die Führungskräfte handhabbar bleiben.

Tipps für meine Kolleg:innen

  1. Nutzen Sie bestehende Tools zur Steigerung der psychologischen Sicherheit, Beteiligung und Mitverantwortung.

  2. Reduzieren Sie Tools, die zu stark auf Kontrolle aufbauen.

  3. Lassen Sie alle bestehenden Tools von jungen bzw. neuen Kolleg:innen kritisch evaluieren. So erhalten Sie frische, unbefangene Perspektiven und bereiten Prozesse gleichzeitig auf die nächste Generation von Mitarbeiter:innen vor.

  4. Fördern Sie den intensiven Austausch innerhalb des Hauses, aber auch mit externen Expert:innen – national und international.



 



Dieser Impuls ist ein Beitrag aus unserer Publikation LEADING NEW WORK - Herausforderung, Lösungsansätze und Denkanstöße von HR-Expert:innen. Interessiert? Hier kostenloses Exemplar bestellen.
 


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